Heute möchte ich dir eine Geschichte erzählen.
Sie heißt: “Wie ich Nicole kennenlernte.”
Tatsächlich müsste sie aber heißen:
“Wie ich mich noch besser kennenlernte.”
Beim letzten Frühlingsretreat im März 2017 hat die liebe Margarete am Samstagabend Trancetanz angeboten. Da ich nicht mittanzen wollte, hat sie mich gebeten, gemeinsam mit anderen als “Hüter” zu helfen.
Als solcher bekam ich eine Einweisung von ihr:
Sie sagte mir, dass es sein könne, dass sich Teilnehmer auf den Boden setzen oder sogar legen. Mein Job war es dann, Tücher im Kreis um diese Menschen zu legen, damit die anderen Teilnehmer mit verbundenen Augen diese Tücher an ihren nackten Füßen spüren und nicht in diese Menschen “reintanzen”. Außerdem sollte ich Teilnehmer davon abhalten, zu nah an Wände oder Tische zu tanzen, damit sie sich nicht stoßen. Sie meinte aber auch, dass das selten passiere, weil sich die meisten kaum bewegen würden. Beim Trancetanz mit verbundenen Augen käme dir nämlich jede kleine Bewegung wie eine sehr große Bewegung vor und es gebe nur wenige, die ihren Platz weiter als einige wenige Meter verlassen.
Was ich dann erlebte, erschütterte alles in mir. Ich erlebte eine Tänzerin und realisierte, dass alles, was ich anderen über mein Erlebtes erzähle, verfärbt ist, weil ich eine Wertung vergeben musste, um es überhaupt erzählen zu können.
Ich realisierte, dass ich zwei subjektive Wertungen in mir hatte, mit denen ich das Erlebte erzählen konnte.
Ich realisierte, wie unfähig ich bin, der Welt etwas mitzuteilen – geschweige denn neutral mitzuteilen – und dass ich es nicht für die Welt um mich herum, sondern für die Welt in mir erlebt hatte und für die Welt in mir erzähle.
Da stand ich also vollkommen unfähig, das Erlebte in Worte zu packen. Ich war sprachlos, ob der Wucht, mit der mich das Erlebte traf.
Während ich es erlebte, war ich immer wieder einmal verzweifelt, weil ich Angst hatte, es könnte etwas passieren – sowohl Nicole als auch den anderen Teilnehmerinnen.
Ich wartete auf den Eingriff von Margarete. Der kam zwar, doch das hielt Nicole nicht davon ab mit dem weiterzumachen, womit sie begonnen hatte.
Margarete sagte mir später, dass sie so etwas noch nie erlebt hatte und selbst nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Und auch daraus könnte ich oder sie einen Vorwurf basteln.
Was war passiert?
Nicole tanzte als hätte sie keine Augenbinde – Zusammenstöße mit anderen, Tischen und Wänden, Stürze und blutige Nasen eingeschlossen.
Da war eine Frau, die hatte entweder keine Angst oder die Angst, die sie hatte, hielt sie nicht ab.
Und dann brachen sie über mich herein … meine Urteile und Bewertungen:
Was für eine mutige Frau. Ihr unbekümmerter Tanz zeigt, wie frei sie ist!
Was für eine ignorante Frau. Ihr hemmungsloser Tanz zeigt, wie rücksichtslos sie anderen gegenüber ist und wie wenig sie ihre Grenzen kennt und wahrnimmt.
Ich hätte das Erlebte positiv und negativ überhöhen können.
Unsere Programmierung neigt meist dazu, das Erlebte negativ zu überhöhen – auch dann, wenn es psychologisch, verhaltenstherapeutisch etc. ausgedrückt wird.
Dadurch realisierte ich, dass ich tatsächlich gar nichts darüber sagen konnte, wie Nicole ist.
Jede Aussage über ihr Verhalten blieb mir wie ein Kloß im Halse stecken.
Aus der einen Perspektive hätte ich ihr Mut, Freiheit und Liebe unterstellen können.
Aus der anderen Perspektive hätte ich ihr Ignoranz, Empathielosigkeit und Egoismus unterstellen können.
Nichts davon stimmte.
Es ging um mein Erleben und den Einsturz meiner Bewertungsmuster.
Die Wahrheit ist:
Da war eine Frau, die alles in mir zum Einstürzen brachte. So wie sie über die Tanzfläche fegte, fegte sie auch über meine Urteile hinweg.
Wie will ich nach so einer Erfahrung jemals sagen, wie es ist?
Sie zeigte mir dadurch, wie sehr mich meine Urteile gefangen halten. Sie brachte zum Einsturz, was sowieso nicht aufrechtzuhalten ist:
Meine Idee davon, dass Fremdwahrnehmung richtiger ist als die Eigenwahrnehmung.
Die Eigenwahrnehmung ist das Einzige, was existiert.
Fremdwahrnehmung wird immer nur durch Filter und Urteile gesehen und ist genauso subjektiv wie die Eigenwahrnehmung.
Die Objektivität, die von uns verlangt wird, gibt es nicht.
Wir können nicht objektiv sein und alleine der Versuch zerreißt uns innerlich.
Dieser Versuch macht aus uns zerrissene, schizophrene Wesen. Dieser Anspruch von außen und innen sorgt für die Welt, in der wir leben.
Auch Margarete dachte lange darüber nach, was falsch gelaufen sei und wie ihr so etwas nicht mehr passiert.
Doch was war denn “passiert”?
Ich schickte ihr dazu ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:
Als Techniktrainer in München wollte ich einmal angeben und den Teilnehmern zeigen, wie man eine gefährliche Stelle fährt. Ich hoffte, dass die Teilnehmer hinter mir (vor der steilen Abfahrt) erschrocken stehen bleiben, weil sie es nicht können und für unfahrbar halten.
Womit ich nicht rechnete war, dass es der Teilnehmer hinter mir konnte und die Teilnehmerin hinter ihm einfach folgte, weil sie dachte: “Wenn die das fahren, muss ich es auch fahren.”
Also folgte sie uns in einer für sie unfahrbaren Stelle, stürzte, wickelte sich um einen Baum und prellte sich Hüfte und Bauch.
Je nachdem welche Haltung ich einnehme, könnte ich sowohl sie als auch mich dafür verantwortlich machen. Jeder Techniktrainerausbilder würde das auch tun. Er würde mich tadeln, dass ich so etwas nicht machen darf und er würde ihr unterstellen, dass sie keinerlei Selbsteinschätzung hätte. Beides ist nicht die Wahrheit.
Ich schwor mir, dass mir so etwas nie wieder passiert.
Bei meinen Techniktrainings am Gardasee machte ich dann alles richtig:
Ich hatte aus meiner Erfahrung gelernt und fuhr nichts mehr, was die Teilnehmer nicht auch fahren dürfen. Ich sagte sogar extra, wo sie fahren sollen und wo auf keinen Fall.
Bei einem meiner letzten Techniktrainings hielt sich einer der Teilnehmer aber einfach nicht daran, fuhr weiter als ich ihm es vorher gesagt hatte, stürzte bei einer Geschwindigkeit von 5 km/h beim Wenden auf einem kleinen ungefährlichen Hügel … und brach sich den Arm.
Das geht weit über “hinterher ist man immer schlauer” hinaus.
Ich muss es erst erleben, um den Sinn zu erkennen. Und selbst dann ist nicht sicher, ob ich es immer richtig mache, weil ich in Wahrheit gar keinen Einfluss habe.
Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung sind nur zwei verschiedene Begriffe für das gleiche subjektive Spiel.
Vor kurzem habe ich Nicole gesagt, dass ich sie nicht emotional ausnutzen will.
Sie meinte: “Das Lustige und gleichzeitig Krasse ist ja: Wenn es mir gut tut und es meine größte Freude ist, was ich bei und mit dir mache, dann will ich ja sogar, dass du mich emotional ausnutzt!”
Hi, Stefan, ich habe einen Kater, welcher 1 Jahr alt ist.
Ich sehe ihn als sehr verschmust und verspielt an. Z.B. springt er plötzlich aus der Hecke hervor, wenn er bemerkt, das jemand kommt. Egal ob Mensch, Hund oder Katze. Oft sind die “Betroffenen” erschrocken. Anfangs war mir das peinlich und ich habe eine Erklärung abgegeben, manchmal tue ich es auch noch, zugegeben.
Ich muss über das Schauspiel lachen, denn ich glaube zu wissen, das mein Kater spielen will.
Einige finden ihn frech, andere hinterhältig, wieder andere mutig und es gibt welche, die ihn ziemlich dumm finden.
Natürlich könnte die Sache mal in die Hose gehen…
Ich lasse ihn seine Freude, die Erfahrung wird er nur selbst machen können. Abhauen kann er allemal….
Liebe Grüße Konnie